Das musikalische Gedächtnis: Zeitreise in die Vergangenheit

IBB Redaktion

Die Gefühle von damals wieder erleben und sich fühlen wie in dem einen Moment – Musik hat diese Kraft. Wie das Gehirn mit Musik wieder alte Erinnerungen und Emotionen hervorrufen kann und warum wir uns an Liedtexte viel länger erinnern können, als an die letzte Unterrichtsstunde, erfahrt ihr hier.

Fast schon magisch lässt sie Erinnerung an unsere Jugend, an besondere Personen und spezielle Orte unserer Vergangenheit wieder aufblühen. Doch tatsächlich hat das mit Magie weniger zu tun als mit neurologischen Verknüpfungen, die unser Hirn herstellt.

Auch unser Gehirn will glücklich sein

Das geht zumindest aus zahlreichen neuropsychologischen Studien hervor, die die auflebenden Effekte von Musik an Alzheimer- und Demenzpatienten untersuchten. Mit fortschreitendem Gedächtnisverlust verlieren Betroffene Erinnerungen aus ihrer Vergangenheit. Erinnerungen an Familienangehörige, Geliebte und letztlich die gesamte eigene Vita sind davon betroffen.

Doch ein Teil des Gedächtnisses bleibt unbeschadet, kämpft fast schon hartnäckig gegen die Ausbreitung der Gehirnerkrankung an und bleibt standhaft – das musikalische Gedächtnis.

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Im herzergreifenden Film Alive Inside (2014) wird die Beständigkeit des musikalischen Gedächtnisses bei Betroffenen von Gedächtniserkrankungen eindrucksvoll in einem „Music & Memory iPod Project“ offenbart. Kaum das Henry Dryer, einem nonverbalen Alzheimerpatienten, die Kopfhörer aufgesetzt wurden, passiert etwas, was nur Magie gleichkommen kann. „Can I sing with it?“, war seine erste Reaktion auf die Klänge, die seine Ohren erreichten. Die nostalgischen Melodien aus seinen Jugendtagen scheinen ihn zu neuem Leben erweckt zu haben.

„I’m crazy about music. Beautiful music, beautiful sounds. It gives me the feeling of love, romance! I figure right now the world needs to come into music. Beautiful. Lovely. I feel the band of love, of dreams.”
– Henry Dryer

Wie darf man sich das musikalische Gedächtnis vorstellen?

In einer 2014 veröffentlichten Studie von Neuro- und Musikpsychologie Stefan Kölsch geht hervor, welche neurologischen Mechanismen in Gang gesetzt werden, wenn Erinnerungen an Töne, Melodien und Harmonien erweckt werden.

Während der Hippocampus, zwar der Teil des Gehirns ist, welcher grundsätzlich für das Speichern von Informationen in der Langzeiterinnerung verantwortlich ist, spielt maßgeblich die benachbarte Amygdala (zusammen mit dem Hippocampus) eine tragende Rolle für das musikalische Erinnern. Denn sie verbindet Erinnerung mit Emotion.

Kurzum: Die Amygdala sorgt dafür, dass wir zum Beispiel beim Hören des „Soundtracks“ unseres letzten Sommers, die zurückliegenden Geschehnisse emotional wiedererleben können. Wieso? So simpel es sich auch anhören mag, aber unser Gehirn liebt es glücklich sein. Es sucht nach Wegen, um in bestimmten Momenten durch musikalische Assoziationen die Dopaminproduktion anzuregen.

Musik geht leicht in den Kopf – und bleibt da

Das alles erklärt aber noch nicht, wie wir uns über tausende von Melodien, Refrains oder sogar ganze Songs einprägen können. Selbst über Jahrzehnte bleiben sie in unseren Köpfen konserviert. Aber wer kann sich schon an einst auswendig gelernte Passagen aus dem Geschichtsbuch in der achten Klasse erinnern? Mit Musik ist das anders. Musik ist dauerhaft, beständig, zeitlos.

Neuste Studien der Neurowissenschaften stellen fest, dass dank der hohen Affektivität gerade glückliche musikalische Erinnerungen solider in unserem Gedächtnis erhalten bleiben, als alle anderen bewussten Erinnerungen.

Mit Blick auf die heilende Wirkung von Musik – gerade für Betroffene von Alzheimer und Demenz – fasst Neurologe und Autor des Beststellers Musicophilia (dt.: Der einarmige Pianist) Oliver Sacks diesen Effekt wie folgt zusammen:

Erinnerungen, die sich anders nicht mehr abrufen lassen, sind in der Musik wie in Bernstein konserviert. Allein die Musik vermag den Betroffenen einen Sinn für die eigene Identität zurückzugeben.“
– Oliver Sacks

Quelle Titelbild: iStock / BlackJack3D 

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