Elephantös schöne „Aida“ fürs Volk – Verdi zum Anfassen

Moderne Opernaufführungen sind so wie die letzte Aida von Guiseppe Verdi oft eher trist grau oder schwarz und können so wie in der Bayerischen Staatsoper in München auch mal Buhrufe hervorrufen. Die als Teil von „Das Arena Opern Spektakel 2024“ angekündigte Aufführung in der Münchener Olympiahalle am 22. Februar 2022 machte dem alle Ehre, war aber mit klassischen Kostümen in Bonbon-Farben auch eine Wohltat fürs Auge.

Spätestens seit Paul Potts 2007 in Britain’s Got Talent und in der Telekom-Werbung als Handyverkäufer mit damals noch schiefen Zähnen überraschte, hat sich „Nessun Dorma“ als eine der schönsten Opernarien weltweit auch in der Herzen vieler Fans geschlichen, die mit dem Genre sonst nichts am Hut haben. „Turandot“ von Giacomo Puccini, aus dem dieses zu Deutsch „Keiner schlafe“ stammt, kann sonst aber schon eine Qual sein, nicht so „Aida“ von seinem Landsmann Giuseppe Verdi. Tatsächlich ist die 1871 kurz nach Eröffnung des Suezkanals in Kairo uraufgeführte Oper vielleicht diejenige, die am meisten ins Ohr geht und daher wohl zu den schönsten gehört. Und wenn es eine Oper fürs Volk gibt, ist es neben Bizets „Carmen“ vielleicht diese. Damit bietet „Aida“ also gute Voraussetzungen für ein „Arena Opern Spektakel“, wie es FKP Show Creations in der Heimatstadt Hamburg im März 2023 begonnen hat. Im Februar 2024 waren es mit dem Auftakt in der Barclays Arena der Hansestadt sechs Vorführungen mit weiteren Stationen in Stuttgart, Düsseldorf, München, Hannover und Berlin.

In die Münchener Olympiahalle pilgerten am 22. Februar viele Besucher:innen aus dem In- und Ausland, die meisten per U-Bahn und zu Fuß, was bei dem einsetzenden Regen kein wirkliches Vergnügen war. Die Halle hat eigentlich Platz für 15.500 Menschen, technisch bedingt hat man sie aber auf 5.000 begrenzt, von denen viele dennoch leer blieben. Leider hat man offenbar versäumt, wie sonst in letzter Minute praktisch noch Schulen anzusprechen. Dabei waren die Karten im Vorverkauf noch mehr als erschwinglich. 10 Euro pro Schülerin oder Schüler wäre wohl nicht zu viel gewesen.

 

Ein Mix aus Altägypten, Las Vegas und Comics

 

Buhrufe wie in der Münchener Staatsoper ein Jahr vorher blieben aus, weil die Darbietung, die sich wie ein Stück Las Vegas ankündigte, überraschend gut war und man wohl auch darauf bedacht war, Sozialkritik in grauen Gewändern draußen vor, dafür aber die altägyptische Sau rauszulassen, auch wenn die Kostüme und Staffage eher an eine Mischung aus Hollywood und Comic-Abziehbilder erinnerten. An die Bühnentechnik hat man zunächst gezweifelt, weil die Lautsprecheransage ganz am Anfang blechern, knacksend Schlimmes vermuten ließ. Die hat dann aber zusammen mit zwei sehr gesangs- und ausdrucksstarken Sopranistinnen, der Dänin Nina Clausen, die die äthiopische Sklavin Aida spielte, und Sophia Maeno als Pharaonentochter Amneris mit überragend tiefgründiger Mezzostimme dann doch alles herausgerissen.

Martin Shalita als von den beiden Kontrahentinnen geliebten ägyptischen Feldherren Radamès hatte seine schönen Gesangsmomente, kam stimmlich jedoch manchmal an seine Grenzen. Er gefiel aber mit seinem Man Bun (Männerdutt) passend zu der Idee, die Figuren und Szenen auf der doppelseitigen großen Projektionsfläche teilweise wie Mangas oder besser Mànhuà genannte chinesische Comic-Zeichnungen beziehungsweise Animes aussehen zu lassen. Der Elefant, der auf den Eintrittskarten zu sehen war, sah in voller Größe mit seinen sich immer wieder aufblähenden Ohren wie echt aus, entpuppte sich dann aber als Attrappe auf Rädern. Anders wäre es bei den viele Tierschützer:innen draußen und in der Arena auch nicht gegangen. Den ganzen unteren Bereich an den teureren Plätzen vorbei in das Bühnenbild zu integrieren, erinnert etwas an die Inszenierungen des 2009 verstorbenen Altmeisters Peter Zadek, der in Bochum und Hamburg mit ungewöhnlichen Shakespeare-Aufführungen Theatergeschichte geschrieben hatte und wohl auch nachempfand, wie Theater im 16. und 17. Jahrhundert erlebt wurde. Denn da hatten manche im Publikum sogar ihr gackerndes, quiekendes und blökendes Vieh dabei.

So tragisch, wie Oper nur sein  kann

 

Die Aufführung der Oper in München begann damit, wie sich ein Liebespaar, Aida und Radamès am Nil zur zart beginnenden, wunderschönen Ouvertüre der Verdi-Oper ein Stelldichein geben, aber plötzlich ein priesterlicher Falke mit einem Schrei aufsteigt und die Idylle stört. Am 24. Dezember 1871 in Kairo kurz nach Eröffnung des Suezkanals uraufgeführt, ist „Aida“ so tragisch, wie es eigentlich nur die Oper schreiben kann. Die Protagonist:innen sind ständig zwischen Liebe und Verzweiflung, Verrat und Hass hin- und hergerissen. Die Story ist wie die der meisten Opern etwas verworren, lässt sich aber auch kurz zusammenfassen:

Aida lebt es äthiopische Sklavin am ägyptischen Pharaonenhofs und muss der Prinzessin Amneris zu Dienste sein. Beide lieben den ägyptischen Hauptmann Radamès, aber der liebt nur Aida, die ihr Inkognito als Tochter des äthiopischen Königs sogar vor ihm verheimlicht, bis es zum Showdown kommt, er unbeabsichtigt sein Vaterland verrät und lebendig begraben werden soll. Aida schlüpft aber an Amneris vorbei ihm nach. Die Pharaonentochter weint sich die Augen aus und bittet die Göttin Isis, sie möge Radamès in ihrem Reich in Frieden ruhen zu lassen.

Etwas länger geht die Geschichte so, dass Radamès, der Geliebte Aidas, ausgerechnet gegen das Reich ihres Vaters, Äthiopiens König Amonasro, in den Krieg ziehen soll und als Lohn für den Sieg die Hand der Pharaonentochter Amneris sowie die Herrschaft über Ägypten, wenn Pharao das Zeitliche segnet. Radamès träumt jedoch davon, nach der erfolgreichen Schlacht, seine geliebte Aida befreien und in ihr Land führen zu können, das sie mit „O patria mia“  immer in den höchsten Tönen besingt. Die Aufforderung, bei der Szene alle die Handys herauszuholen und die Taschenlampenfunktion einzuschalten, ging am Münchener Publikum allerdings ziemlich vorbei. Wie dem auch sei.

Radamès weiß wie gesagt nicht, dass sie die Tochter des äthiopischen Königs Amonasro ist, den er als einfachen Soldaten in seinem Triumphzug mitbringt. Aida verplappert sich fast, wird aber von ihrem Vater daran gehindert und bedrängt, Radamès das Geheimnis zu entlocken, wo die ägyptischen Truppen angreifen würden, um die erneut rebellierenden Äthiopier zu bekämpfen. Nach einigem Zögern nennt er schließlich die Napataschlucht als möglichen gemeinsamen Fluchtweg. Da springt Amonasro aus seinem Versteck hervor und gibt sich als König von Äthiopien zu erkennen. Radamès erkennt indes, dass er unfreiwillig sein Vaterland verraten hat und Schande über ihn gekommen ist. Aber auch die ägyptische Prinzessin Amneris hat gelauscht und lässt Radamès verhaften, während Aida ihr Vater fliehen können.

Großer Showdown und positiver Nachhall

 

Amneris liebt Radamès aber immer noch und versucht ihn zu bewegen, sich vor den Priestern, die über ihn richten sollen, zu verteidigen. Doch Radamès ist entschlossen, in der Gruft unter dem Altar der Göttin Isis den Tod zu finden, zumal Amneris ihm vorgelogen hat, Aida sei gestorben. Selbst als sie die Lüge zurücknimmt und ihm ihr Leben, den Thron und ihre Liebe verspricht, wenn er nur Aida vergisst, bleibt Radamès entschlossen, den Tod zu finden und schweigt er hartnäckig, als er mit dem dumpfen aus dem Hintergrund hallenden „Radamès, Radamès, Radamès“ dreimal die unsichtbare Anklage der Priester hört. Amneris bittet die Priester allen voran den Hohepriester Ramfis immer wieder um Gnade und verflucht sie für ihre Grausamkeit, während Radamès in das unterirdische Gewölbe hinabsteigt, wo sich schon der große Stein in Bewegung setzt, ihn lebendig zu begraben. Heimlich schleicht sich auch Aida an Amneris vorbei in die Gruft, um mit Radamès gemeinsam den Tod zu finden. Der ägyptischen Königstochter bleibt nur, um ihre große Liebe zu trauern und Isis anzubeten, seine Seele möge in ihrem Reich Frieden finden. Soweit die Geschichte von „Aida“.

Im Original ist die Oper etwa drei Stunden lang, in München angekündigt waren 120 Minuten. Sich zwischendurch die Nase zu pudern war anders als sonst kein Problem, aber viele der Zuschauer:innen waren dann doch sichtlich erleichtert, dass es entgegen den eigenen Erwartungen eine Pause gab. Das hatte jedoch den Nachteil, dass man an dem „schlappen“ Donnerstag erst gegen kurz vor 11 Uhr abends draußen war, wo einen noch mehr Regen empfing. Die meisten gingen davon unbeirrt aber beschwingt zur U-Bahn oder ihren Bussen. Denn es hatte sich gelohnt und sorgte auch nachhaltig für reichlich Gesprächsstoff.

Von dem Raumduft, den die Presse umwehte, bekam man in der 25. Reihe nichts mit. Die Münchener Abendzeitung (AZ) titelte „Pharaonen und Sportgymnastik: ‚Aida‘ in der Olympiahalle“, die Süddeutsche sprach von „Verdi, groß gedacht“. Beide hielten sich mit ihrer Kritik weitgehend zurück. Die Süddeutsche Zeitung fand es nur schade, dass das Orchester wie die Stimmen der Sänger:innen aus ertönte und war voll des Lobs für Nina Clausen als Aida, während Sophia Maeno sowohl in der Rolle als Amneris als auch auf der Bühne überlegener schien.

 

Quelle Titelbild: FKP / Dennis Mundkowski



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