„Niemand“ hat 2024 den ESC gewonnen

Der European Song Contest (ESC) gibt sich immer schriller, bunter und verrückter. Das Finale am 11. Mai 2024 in Malmö hat dahingehend fast den Vogel abgeschossen. Der eine hat gleich die Hose heruntergelassen, andere zeigten sich mehr als „offenherzig“. Der deutsche Teilnehmer Isaak wirkte inmitten der vielen Performance Acts etwas unbeholfen, ist aber überraschend auf Platz 12 gelandet. Die Krone holte sich ein junger Schweizer mit dem Künstlernamen Nemo, lateinisch für niemand.

Beim ESC gewinnt lange nicht mehr nur die Stimme oder die Performance. Von wenigen Ausnahmen wie Lena 2010 auf Platz 1 und Michael Schulte 2018 auf Platz 4 abgesehen, haben sich die Deutschen fast schon daran gewöhnt, bei dem European Song Contest abzuschmieren und stellt sich die Frage: Sind wir wirklich so unbeliebt in Europa und Australien? Als mit Isaak (Guderian, 29) ein etwas pummliger Westfale ins Rennen ging, war die Kritik groß, dass es wohl kaum gelingen dürfte, bei dem Finale des European Song Contest im schwedischen Malmö am 11. Mai 2024 einen Blumentopf zu gewinnen. Tatsächlich ging seine flammende Performance im eher bieder schwarzen Outfit und ebenso bemalten Fingernägeln bei all dem anderen Gaga zwar etwas unter, konnte er aber mit Always On The Run stimmgewaltig doch noch einen guten 12. Platz machen.  Die internationale Jury hatte ihn sogar auf Platz 10 gesehen.

Der niederländische Beitrag ist wegen eines mutmaßlichen Übergriffs auf eine Kamerafrau ausgefallen, was bei der Publikumswahl für etwas Verwirrung sorgte. Die war dann auch noch für manche Überraschungen gut. Denn da hätte der 1. Platz für Nemo  aus der Schweiz mit The Code fast noch in einer Zitterpartie geendet, weil sich vorübergehend plötzlich, im Jury-Voting noch auf Platz 3, Kroatiens Baby Lasagna mit dem fröhlich-gerappten Rim Tim Tagi Dim an die Spitze setzte. Der 1999 geborene Nemo bezeichnet sich selbst als non-binär, auch wenn er männlicher herüberkam, als viele andere Kandidaten. Frankreich hatte mit Slimane gefühlt den männlichsten Sänger ins Rennen geschickt und landete im Jury-Voting auf Platz 2, konnte aber beim Publikum beziehungsweise Tele-Voting nur 227 Stimmen einfangen, weshalb er mit 445 Punkten hinter Kroatien und der Ukraine schließlich nur auf Platz 4 landete. Überraschend war das schon, ebenso, dass selbst so konservativ geprägte Länder wie Armenien den buntesten Auftritten hohe Punktzahlen zukommen ließen.

Schriller und bunter denn je

 

Die Ukraine konnte wie 2022, damals ganz oben auf dem Siegerpodest, wieder von einem gewissen Mitleidsbonus profitieren, auch wenn die Sänger Alyona Alyona und Jerry Heil das von sich weisen würden. Um Israels Beitrag gab es im Vorfeld schon heftige Diskussionen und Proteste, die sich auch in Malmö und anderswo fortsetzten, dennoch konnte das Land sich dank 323 Publikumsstimmen auf Platz 5 setzen. Die internationale Jury hatte Israel nur 52 Punkte beschert, womit es gerade mal für Platz 12 gereicht hätte, wo schließlich Deutschland gelandet ist, das allerdings mit 99 Ja-Stimmen von der Jury, aber nur 18 vom Publikum.

Alle Ergebnisse des ESC 2024
Platz Punkte Land Künstler:in Titel Jury Publikum
1 591 Schweiz Nemo The Code 365 226
2 547 Kroatien Baby Lasagna Rim Tim Tagi Dim 210 337
3 453 Ukraine Alyona Alyona & Jerry Heil Teresa & Maria 146 307
4 445 Frankreich Slimane Mon amour 218 227
5 375 Israel Eden Golan Hurricane 52 323
6 278 Irland Bambie Thug Doomsday Blue 142 136
7 268 Italien Angelina Mango La noia 164 104
8 183 Armenien Ladaniva Jako 101 82
9 174 Schweden Marcus & Martinus Unforgettable 125 49
10 152 Portugal Iolanda Grito 139 13
11 126 Griechenland Marina Satti Zari 41 85
12 117 Deutschland Isaak Always On The Run 99 18
13 103 Luxemburg Tali Fighter 83 20
14 90 Litauen Silvester Belt Luktelk 32 58
15 78 Zypern Silia Kapsis Liar 34 44
16 64 Lettland Dons Hollow 36 28
17 54 Serbien Teya Dora Ramonda 22 32
18 46 GB/UK Olly Alexander Dizzy 46 0
19 38 Finnland Windows95man No Rules 7 33
20 37 Estland 5Miinust Puuluup …narkootikumidest… 4 33
21 34 Georgien Nutsa Buzaladze Firefighter 15 19
22 30 Spanien Nebulossa Zorra 19 11
23 27 Slowenien Raiven Veronika 15 12
24 24 Östereich Kaleen We Will Rave 19 5
25 16 Norwegen Gåte Ulveham 12 4

 

Einen ähnlich großen Ausreißer gab es für Portugals Iolanda, die mit Grito typisch für das Land wieder einmal an Fado-Gesänge erinnerte. Von der Jury erhielt sie 139 Stimmen, vom Publikum nur 13. Bei Frankreich ist man ja schon gewohnt, dass die Kandidat:innen französisch singen, aber was diesmal auch im Publikum gut ankam, waren die vielen anderen Beiträge in Landessprache. 5Miinust & Puuluup aus Estland hat es mit 4 Stimmen von der Jury und 33 vom Publikum nicht viel genutzt, der Titel (Nendesz) narkootikumidest ei tea me (küll) midagi (estnisch für Wir wissen (wirklich) nichts über (diese) Drogen) war vielleicht auch nicht sexy genug.

Mit Sex pur, konkret mit heruntergelassener Hose unten herum nackt, wollte der Windows95man aus Finnland sich die beliebte Trophäe holen; tatsächlich reichte es bei der Jury nur für 7 Punkte, beim Publikum für 33 und insgesamt für Platz 19. Den finnischen Freund, der zum gemeinsamen Zuschauen da war, wollte es fast im Erdboden verschlucken ob des Auftritts seiner Landsleute. Dabei haben die Finnen 2023 mit Käärija und Cha Cha Cha nach den Schweden sogar den zweiten Platz eingefahren. Wenn man an die Kosten für Austragung des ESC denkt, konnten sie sich darüber vielleicht sogar freuen, dass der Krug 2025 an die Schweiz geht, manch andere Länder wohl auch.

Die Zwillinge Marcus & Martinus aus dem Gastgeberland Schweden, die den Reigen eröffneten, haben trotz eines vergleichsweise dünnen Auftritts immerhin 125 Stimmen von der Jury und 49 vom Publikum eingeheimst, womit es zwischen Armenien und Portugal noch für Platz 9 gereicht hat. Wenn man sich die Länderstatistik seit dem ersten ESC im Jahr 1956 anschaut, sind Irland und Schweden mit jeweils 7 Gesamtsiegen weit vorne, dahinter Großbritannien, Frankreich, die Niederlande und Luxemburg mit jeweils 5 Gesamtsiegen. Deutschland hat es so wie Spanien und Österreich nur zweimal geschafft, konnte aber immerhin viermal den zweiten und fünfmal den dritten Platz für sich behaupten. Irlands Bambie Thug hat mit Doomsday Blue diesmal Platz 6 eingefahren. Für das ESC-Gründungsmitglied Luxemburg, das mit Tali 2024 erstmals seit 31 Jahren wieder antrat, reichte es hinter Deutschland nur für Platz 13.

Italien ist mit Angelina Mango und La noia auf Platz 7 gelandet, Griechenland vor allem dank 85 Publikumsstimmen auf Platz 11. Großbritannien hat mit einer glatten Null die wenigsten Publikumsstimmen eingeheimst, konnte aber mit 46 von der Jury noch Platz 18 holen. Der Auftritt von Olly Alexander war nicht stark, aber die 0 Stimmen vom Publikum gehen vielleicht auch aufs Konto des Brexit, was wieder einmal zeigt, dass der ESC nicht frei von Politik ist. Das mag verständlich sein, ist aber auch schade und trifft manche der Sänger:innen oder Gruppen möglicherweise auch ungerecht, so wie diejenigen, die so wie Isaak aus Deutschland eher mit ihrer Stimme als mit Gaga überzeugen wollen. Andererseits: Was wäre der ESC ohne ihre Gaga liebende, bunte Fangemeinde? Die macht sich aber offensichtlich auch langsam rar. Denn diesmal waren es auch keine 200 oder 250 Millionen, sondern nur noch etwa 150 bis 165 Millionen, die sich die Show vor ihren Bildschirmen oder im Public Viewing angeschaut haben.

 

Quelle Titelbild:Wikipedia/ Arkland



X